KI-Darstellerin Tilly Norwood

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Lisa Ernst · 02.10.2025 · Technik · 5 min

Die Einführung der KI-generierten Figur Tilly Norwood hat in Hollywood eine Debatte über die Zukunft der Schauspielerei ausgelöst. Xicoia, die KI-Sparte von Particle6, präsentierte Tilly Norwood als "hyperreale digitale Stars", die in verschiedenen Medien eingesetzt werden sollen. Dies führte zu sofortiger Kritik von Schauspielgewerkschaften wie SAG-AFTRA und prominenten Persönlichkeiten, die vor einer Abwertung menschlicher Kunst und Arbeitsplätze warnen.

Einführung

Tilly Norwood ist eine vollsynthetische, fotoreal erzeugte Figur, die von Xicoia, der KI-Sparte von Particle6, als Schauspielerin vermarktet wird. Seit ihrem Auftritt beim Zurich Summit Ende September 2025 sorgte sie für Schlagzeilen. Xicoia, gegründet von Eline van der Velden, zielt darauf ab, "hyperreale digitale Stars" für Film, TV, Social Media und Werbung zu schaffen. Tilly Norwood unterhält öffentliche Kanäle, auf denen sie sich offen als "AI actress" bezeichnet. Ihr erstes "Werk" ist ein KI-Sketch namens "AI Commissioner", der die Möglichkeiten generativer Tools demonstrieren soll.

Im Juli 2025 beschrieb eine Branchenanalyse, dass Particle6 mit Tilly "die nächste Scarlett Johansson oder Natalie Portman" anstrebt, was Aufmerksamkeit und Skepsis auslöste. Am 27./28. September 2025 wurde Tilly auf dem Zurich Summit, dem Branchenteil des Zurich Film Festival, offiziell präsentiert. Dabei hieß es, Talentenagenturen seien interessiert. Kurz darauf reagierten Medien und Stars: Emily Blunt nannte die Aussicht "wirklich, wirklich beängstigend" und forderte Agenturen auf, nicht mitzumachen. Am 1. Oktober 2025 veröffentlichte SAG-AFTRA eine deutliche Stellungnahme: Tilly sei kein "actor", sondern ein rechnergeneriertes Produkt, trainiert auf Leistungen echter Profis ohne deren Erlaubnis, und dürfe vertragliche Schutzklauseln nicht unterlaufen. Reuters und die Washington Post ordneten den Vorgang als Eskalationspunkt der KI-Debatte in Hollywood ein. Am 2. Oktober 2025 schloss sich die britische Gewerkschaft Equity an und bezeichnete Tilly als "AI-Tool, not a performer" und forderte klare Mindeststandards.

Tilly Norwood, die KI-generierte Schauspielerin, auf dem roten Teppich.

Quelle: salon.com

Tilly Norwood, die KI-generierte Schauspielerin, auf dem roten Teppich.

Analyse

Xicoia will digitale, rund um die Uhr verfügbare "Talente" schaffen, die planbarer, skalierbarer und markenfähiger sind als Menschen. Dies ist aus Produktionssicht verlockend, da kreative Assets zentral gesteuert und über Kanäle hinweg verwertet werden können. Plattformdynamiken spielen hinein: Ein fotoreales Gesicht baut via Instagram schnell Reichweite und Wiedererkennung auf, ohne Setpläne, Gagen oder Tourneen. Dem gegenüber stehen arbeits- und urheberrechtliche Risiken: Ungeklärte Trainingsdaten, Möglichkeiten der Ähnlichkeitsverletzung und Pflichten aus Tarifverträgen machen Einsätze rechtlich heikel. Die Kernfrage bleibt: Transportiert ein synthetischer Körper glaubhafte Emotionen über 90 Filmminuten – oder kippt die Illusion in Uncanny Valley, sobald Dramafinesse gefragt ist? Die Washington Post thematisierte dies.

Quelle: YouTube

Der kurze THR-News-Clip fasst die Positionen von SAG-AFTRA und prominenten Stimmen kompakt zusammen und liefert O-Ton-Kontext.

Ein Hinweis auf die KI-Generierung von Tilly Norwoods Erscheinungsbild.

Quelle: abc11.com

Ein Hinweis auf die KI-Generierung von Tilly Norwoods Erscheinungsbild.

Belegt ist, dass Tilly eine durch generative KI erzeugte Figur von Xicoia/Particle6 ist, öffentlich vorgestellt beim Zurich Summit Ende September 2025. Belegt ist auch die scharfe Kritik und die formale Stellungnahme von SAG-AFTRA, die synthetische Performer ablehnt und Vertragsauflagen betont. Belegt ist zudem, dass Stars wie Emily Blunt öffentlich warnen.

Unklar ist, ob es bereits verifizierte, namentlich genannte Vertragsabschlüsse mit Agenturen gibt; die Berichterstattung verweist auf laufende Klärungen und zitiert Interesse ohne offiziellen Vertragsabschluss.

Falsch/Irreführend: Tilly ist keine reale Person und keine "Schauspielerin" im tarifrechtlichen Sinn; genau das stellen sowohl die offizielle Website ("AI actress") als auch das SAG-AFTRA-Statement klar. Ebenfalls irreführend wäre die Annahme, Einsätze seien vertragsfrei möglich; die Gewerkschaft verweist ausdrücklich auf Anzeige- und Verhandlungspflichten bei synthetischen Performern.

Reaktionen und Auswirkungen

SAG-AFTRA lehnt den Ersatz menschlicher Performer durch synthetische Figuren ab und verbindet das mit einem Appell an Kreativität als menschzentrierten Prozess. Emily Blunt nennt die Aussicht "wirklich, wirklich beängstigend" und bittet Agenturen, nicht zu unterschreiben. Eline van der Velden hält dagegen, Tilly sei "ein Kunstwerk", vergleichbar mit Animation oder Puppenspiel, nicht als Ersatz gedacht. Die britische Equity fordert Transparenz, Schutz von Darstellerpersönlichkeiten und verbindliche Standards für KI-Einsätze.

Die Gegenüberstellung von Tilly Norwood und Whoopi Goldberg symbolisiert die Debatte um KI in Hollywood.

Quelle: ew.com

Die Gegenüberstellung von Tilly Norwood und Whoopi Goldberg symbolisiert die Debatte um KI in Hollywood.

Für Zuschauende: Rechnet künftig mit mehr "synthetic talent" in Trailern, Kurzsketchen und Werbeformaten – echte Langform-Performances bleiben aber vorerst eine Bewährungsprobe. Für Kreative: Prüft früh, ob KI-Assets urheber- und tarifkonform genutzt werden können, und dokumentiert Freigaben, insbesondere bei Ähnlichkeitsrisiken, wie von SAG-AFTRA gefordert. Für Agenturen/Studios: Erwartbar sind branchenweite Mindeststandards wie von Equity gefordert; Compliance und Reputation sind zentral. Praktischer Tipp zur Einordnung: Vergleicht Pressestatements mit Primarquellen und O-Ton-Clips und checkt offizielle Projektseiten und verifizierte Social-Accounts.

Quelle: YouTube

Der Sketch zeigt, wie Tilly in kurzen, modularen Szenen eingesetzt wird – nützlich, um die aktuelle technische Qualität selbst zu beurteilen.

Ausblick

Offene Fragen betreffen die Herkunft der Trainingsdaten und Designentscheidungen sowie die Dokumentation von Einwilligungen, wie die Washington Post hervorhebt. Es ist unklar, welche Agentur tatsächlich die Vertretung übernimmt und zu welchen Bedingungen für Kreditierung, Restzahlungen und Zitatrechte, wie Variety berichtet. Welche Branchenstandards legen SAG-AFTRA und Equity in den nächsten Wochen konkret fest, etwa für Kennzeichnung und Mitbestimmung?

AI actress Tilly Norwood ist ein Testballon für eine neue Klasse von Medienfiguren: technisch beeindruckend in Kurzformaten, juristisch und kulturell umkämpft im Langformat. Wenn Sie künftig News dazu sehen, lohnt sich der Blick in Primarquellen und Gewerkschaftsstatements – so trennen Sie Marketing von Realität und können Chancen und Risiken besonnen einordnen, wie Reuters und SAG-AFTRA betonen.

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