DeepMind validiert Krebs-Hypothese Kalte Tumoren: Heiß mache

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Lisa Ernst · 16.10.2025 · Technik · 5 min

Google DeepMind und die Yale University berichten über ein KI-Modell, das eine biologische Hypothese zur Sichtbarmachung von Tumoren für das Immunsystem generierte. Diese Hypothese wurde anschließend in lebenden Zellen bestätigt. Alphabet-CEO Sundar Pichai bezeichnet die Validierung in Zellen als Meilenstein.

KI-gestützte Krebsforschung

Ein offenes, auf Gemma basierendes KI-Modell namens C2S-Scale 27B generierte eine neue Hypothese zur Krebsbiologie. Es sagte voraus, dass die Hemmung der Kinase CK2 durch den Wirkstoff Silmitasertib die Antigenpräsentation von Tumorzellen deutlich erhöhen sollte, allerdings nur bei schwacher Interferon-Signalisierung. Diese Vorhersage wurde in humanen neuroendokrinen Zellmodellen bestätigt. Die Kombination aus Silmitasertib und niedrig dosiertem Interferon steigerte die Antigenpräsentation um rund 50 Prozent (Google Blog). Dies stellt einen seltenen Fall von "AI → Hypothese → nasses Labor → Treffer" dar (Google Blog).

C2S-Scale 27B ist ein großes Sprachmodell für Einzelzellbiologie. Es wandelt Genexpressionsprofile von Zellen in "Sätze" aus Genen ("cell sentences") um. Dadurch kann es biologische Fragen in natürlicher Sprache beantworten, interpretieren und Reaktionen auf Eingriffe simulieren (Google Research Blog). Die Arbeit basiert auf einer wissenschaftlichen Vorveröffentlichung, die die Skalierung dieser Methode zu 27 Milliarden Parametern beschreibt (bioRxiv).

Künstliche Intelligenz spielt eine Schlüsselrolle bei der Analyse komplexer biologischer Daten und der Entwicklung neuer Therapieansätze.

Quelle: ausgezeichnet.org

Künstliche Intelligenz spielt eine Schlüsselrolle bei der Analyse komplexer biologischer Daten und der Entwicklung neuer Therapieansätze.

Biologische Grundlagen

"Kalte" Tumoren sind Krebsarten, in die das Immunsystem kaum eindringt. Dies liegt oft an schwacher Antigenpräsentation, stromalischen Barrieren und immunsuppressiven Signalen. "Heiße" Tumoren hingegen weisen viele Immunzellen auf und sprechen eher auf Immuntherapie an (Molecular Cancer). Antigenpräsentation, häufig über MHC-I-Moleküle, macht Tumorzellen für T-Zellen erkennbar. Interferone können diese Präsentation grundsätzlich ankurbeln (PMC NCBI). Silmitasertib (CX-4945) ist ein klinisch untersuchter Hemmstoff der Kinase CK2, die vielfältige zelluläre Prozesse reguliert (PMC NCBI).

Die CAR-T-Zelltherapie ist ein vielversprechender Ansatz, um das Immunsystem für den Kampf gegen Krebs zu aktivieren.

Quelle: spektrum.de

Die CAR-T-Zelltherapie ist ein vielversprechender Ansatz, um das Immunsystem für den Kampf gegen Krebs zu aktivieren.

Aktueller Stand & Entwicklung

Im April 2025 stellten Forschende von Yale, Google Research und DeepMind die skalierte "Cell2Sentence"-Idee vor. Einzelzell-Daten werden dabei zu Text, und LLMs lernen, Biologie zu "lesen" und zu "schreiben" (Google Research Blog; bioRxiv).

Am 15. Oktober 2025 wurde bekannt gegeben, dass das 27B-Modell eine Hypothese mit klinischem Potenzial generierte und den ersten Realitätscheck im Labor bestand. Die Forschenden ließen C2S-Scale über zwei Kontexte "denken": einmal mit schwacher Interferon-Signalisierung (immun-kontext-positiv) und einmal ohne Immunkontext. Dabei wurden über 4.000 Wirkstoffe simuliert. Das Modell identifizierte Silmitasertib als "konditionalen Verstärker", der die Antigenpräsentation nur im passenden Interferon-Umfeld hochfährt (Google Blog).

Anschließend wurden menschliche neuroendokrine Zellmodelle getestet, die dem Modell nicht bekannt waren. Silmitasertib allein zeigte keinen Effekt. Niedrig dosiertes Interferon allein hatte einen kleinen Effekt. Die Kombination führte zu etwa 50 Prozent mehr Antigenpräsentation, was eine erhöhte "Sichtbarkeit" für das Immunsystem bedeutet (Google Blog).

Preprint, Code und Modelle sind offen zugänglich. Der Yale-Partner erklärt Hintergründe und verweist auf GitHub/Hugging Face (vandijklab.org; Hugging Face; GitHub).

Analyse & Einordnung

Dieser Ansatz verfolgt das Ziel, von "AI in der Analyse" zu "AI als Entdeckerin" zu gelangen, indem Hypothesen nicht nur priorisiert, sondern generiert werden (Google Research Blog). Ein weiterer Treiber ist der klinische Bedarf, da viele Tumoren für Immuntherapien "kalt" bleiben und Wege zur gezielten "Erwärmung" als Schlüsselfrage gelten (Molecular Cancer). Die Freigabe von Preprint, Code und Modellen beschleunigt Replikation und Erweiterung und fördert die Reputation von Gemma/C2S (vandijklab.org; Hugging Face).

Silmitasertib ist bekannt, doch die hier gezeigte, interferon-abhängige Verstärkung der Antigenpräsentation ist neu und kontextabhängig. Dies reduziert potenziell Nebenwirkungen, da der "Boost" nur im passenden immunologischen Milieu erfolgt (Google Blog; PMC NCBI).

Quelle: YouTube

Das Modell C2S-Scale 27B generierte eine Hypothese, die in lebenden Zellen (in vitro) bestätigt wurde. Silmitasertib plus niedrig dosiertes Interferon erhöhte die Antigenpräsentation um ca. 50 Prozent (Google Blog). C2S-Scale übersetzt Einzelzelldaten in "cell sentences" und folgt klaren Skalierungsgesetzen; der Preprint ist öffentlich (Google Research Blog; bioRxiv).

Unklar bleibt die Übertragbarkeit auf verschiedene Tumorarten, das Dosis-Fenster, die Sicherheit und die Dauerwirkung in Tieren und Menschen. Bisher liegen keine präklinischen Tierdaten oder klinischen Daten zu dieser Kombination in diesem Mechanismus vor (Google Blog). Schlagzeilen, die von "KI heilt Krebs" sprechen oder klinische Wirksamkeit suggerieren, überdehnen den Befund. Die Arbeit zeigt eine laborvalidierte Hypothese, keine Patientenstudie (Economic Times).

Sundar Pichai fasst die Neuigkeit als "exciting milestone" zusammen und verweist auf die Validierung in Zellen (X.com). Das Yale-Partnerlabor (van Dijk Lab) positioniert C2S-Scale als Plattform für "virtuelle Zellen" und offene Kollaboration (vandijklab.org). Unabhängige Berichte ordnen den Schritt als potenziellen neuen Pfad für Immuntherapien ein, betonen jedoch den frühen Forschungsstand (Decrypt). Skepsis bleibt bei der klinischen Übertragbarkeit, da Interferonpfade komplex und nicht frei von Nebenwirkungen sind (PMC NCBI).

Dieses Diagramm zeigt Methoden zur Anreicherung und Detektion von zirkulierenden Tumorzellen, zirkulierender Tumor-DNA, Exosomen und Tumorzellen-erzogenen Blutplättchen aus Blutproben.

Quelle: user-added

Dieses Diagramm zeigt Methoden zur Anreicherung und Detektion von zirkulierenden Tumorzellen, zirkulierender Tumor-DNA, Exosomen und Tumorzellen-erzogenen Blutplättchen aus Blutproben.

Ausblick & Offene Fragen

Für Forschende erleichtern die offenen Ressourcen Replikation, Vergleich und Erweiterung. Preprint, Code und Modelle sind direkt verfügbar (bioRxiv; GitHub; Hugging Face). Kliniker:innen sollten beachten, dass es sich um einen spannenden Mechanismus handelt, aber keine klinischen Wirksamkeitsdaten vorliegen. Literatur zur Antigenpräsentation und Interferon hilft bei der Einordnung (PMC NCBI). Interessierte sollten Primärquellen nutzen und prüfen, ob Ergebnisse in Tieren und Menschen bestätigt werden.

Quelle: YouTube

Offene Fragen betreffen, welche Tumorentitäten wirklich von der interferon-abhängigen CK2-Hemmung profitieren und wie groß der klinisch relevante Effekt in vivo ist. Zudem sind Dosen und Kombinationen, die sicher und wirksam sind, sowie die Interaktion mit etablierten Therapien wie Checkpoint-Inhibitoren zu klären. Die Robustheit des Effekts außerhalb der getesteten neuroendokrinen Modelle ist ebenfalls offen. Laut Google/Yale laufen mechanistische Nacharbeiten und weitere Tests; Peer Review und präklinische Tiermodelle stehen an (Google Blog; bioRxiv).

Die Aussage "DeepMind und Yale: AI-Hypothese für Krebs validiert" trifft im Kern zu. Eine KI hat eine neue, kontextabhängige Idee generiert, und das Labor hat sie in Zellen bestätigt. Dieser Brückenschlag von der Simulation zum Experiment gelingt bisher selten (Google Blog). Der Weg zu Patient:innen ist weit, doch das offene, replizierbare und biologisch plausible Muster zeigt, wie KI künftig Entdeckungen beschleunigen kann (vandijklab.org; Google Research Blog).

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